Meine kleine Schwester nervt.
Oder:
Ein etwas anderer Triathlon Bericht.
Ich kann nicht schwimmen. Oder präziser: Ich kann nicht technisch korrekt schwimmen. Ich kann mich zwar aktiv über Wasser halten, und das durchaus auch über einen längeren Zeitraum. Aber ein Triathlet würde meine relativ unkoordinierten Arm- und Beinbewegungen, mit denen ich durchs Wasser pflüge, nicht als Schwimmen bezeichnen. Ebenso wenig wie ein sportlicher Läufer eine 42 km lange Wanderung nicht als Marathonlauf beschreiben würde.
Ich kann auch nicht sportlich radfahren. Oder präziser: Ich kann meinen mit wenigen Gängen ausgestatteten, aus dem Vollen gefrästen und fast 30 kg schweren Uralt-Drahtesel zwar gelassen durch unseren Kiez manövrieren, ausnahmsweise auch mal einen ganzen Tag durch Brandenburg spazieren radeln. Damit ist meine Leistungsgrenze aber auch erreicht.
Nun sind das zugegebenermaßen keine optimalen Voraussetzungen, um an einem Triathlon teilzunehmen - selbst wenn es sich um die Jedermann- bzw. Sprint-Distanz handelt. Habe ich deshalb auch nie gemacht.
An diesem Punkt kommt meine kleine Schwester ins Spiel. Eine triathlonerfahrene W65 mit wöchentlichem Schwimmtraining, regelmäßigen Laufeinheiten bis Halbmarathon, dazu ständiges Rennradfahren (auf einer Spezialanfertigung mit 7 kg Gewicht) im Allgäu, wo sie seit 30 Jahren wohnt. Ach ja, fast hätte ich ihr spezielles Triathlon-Trainings-Bootcamp im Schwarzwald nicht erwähnt.
Nur Marathonlaufen konnte ich bisher besser, sie macht bei der halben Distanz Schluß. (Ätsch!) Allerdings läuft sie sehr, sehr zügig, das muss ich ihr zugestehen.
Oft besucht sie mich in Berlin, und Hübis Havellauf und auch den Berliner Halbmarathon haben wir bereits gemeinsam absolviert. Seit ihrer Infektion mit dem Triathlon-Virus ist ihre kleine Rennmaschine ebenfalls immer dabei. Klar, dass sie sich vorher umschaut, was es hier an passenden Wettbewerben gibt, um sich dann weit im voraus anzumelden. Und mich bei dieser Gelegenheit jedesmal zu fragen, ob ich nicht auch einen Triathlon laufen (Nein!) oder wenigstens mal reinschnuppern (NEIN!) würde. Wenn man weder sportlich schwimmen noch Rennradfahren kann, muss eben die Vernunft sprechen.
Als Ausgleich bot ich aktives Zuschauen an.
Beim ersten Erkner-Triathlon landete meine Schwester in ihrer AK prompt auf Platz 1 im Sprint. Ich muss zugeben, bei den unterschiedlichen Disziplinen mitzufiebern, ja, die ganze Atmosphäre dieser Veranstaltung mitzuerleben zog mich tatsächlich ein bisschen in den Bann. Vielleicht sogar mehr, als ich damals geahnt habe.
Anfang des Jahres wollte meine Schwester mich wie gewohnt zur Anmeldung für den diesjährigen Jedermann-Tri überreden. Während ich mir im Kopf die ebenso gewohnten schlüssigen Gegenargumente zurechtlegte, hörte ich mich überraschenderweise sagen: Klar!
Na gut, so viele Monate vor einem Wettbewerb lässt man sich nur zu gerne auf dem Sofa liegend von dem einen oder anderen Online-Formular zur Teilnahme an diversen, in weiter Ferne liegenden Sportveranstaltungen überreden, das kenne ich auch aus meiner Marathon-Zeit noch sehr gut.
Doch auch die weiteste Ferne kommt irgendwann näher. Manchmal schneller als man trainieren kann.
Wenige Wochen vor dem Start fielen mir daher ein paar wesentliche Punkte auf, die bei einer Triathlonteilnahme von großem Vorteil sind, die ich aber bisher nicht berücksichtigt hatte.
Punkt 1: Ein mindestens ausreichendes Schwimm-, Rad- und Lauftraining. Laufen sah ich fälschlicherweise als kein großes Problem an, aber fürs Schwimmtraining fehlte die Zeit, das fiel buchstäblich ins Wasser. Ein Radtraining fiel ebenfalls flach. (So flach, dass ich nur nach der Radübergabe am Tag vor dem Wettbewerb eine Runde übers Tempelhofer Feld drehen konnte, um mich wenigstens mit der Schaltung vertraut zu machen.)
Punkt 2: Ich besitze kein Rennrad. Das wäre aber eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Triathlonteilnahme, grinste meine Schwester. Also bei Freunden nach einem passenden Sportgerät rumgefragt. Ohne Erfolg. Dann eine Recherche im Internet gestartet, und siehe da, beim Rennradstudio Rad-Kreuz in Kreuzberg wurde ich fündig. Ein Leih-Corratec-Renner plus geprüftem Helm würde am Tri-Wochenende für 30 €/Tag den Besitzer wechseln. Die Frage der Spezialisten nach dem gewünschten Pedalsystem beantwortete ich profimäßig mit „Egal. Irgendwelche Pedale für Laufschuhe“.
Damit stand meiner Karriere als zukünftiger Radsportler nichts mehr im Wege. Bis mich meine Schwester an Punkt 3 erinnerte: Die Bekleidungsfrage. Nach langem Hin- und Her und mit sanftem schwesterlichen Druck zwängte ich mich bei Long Distance in einen kompressionsstarken Triathlon-Kurzarm-Einteiler. Die 30% Jubiläumsrabatt gaben schließlich den Ausschlag, mich zumindest optisch in einen Spitzen-Triathleten zu verwandeln.
Und dann war er da, der Tag der Entscheidung. Finishen oder Untergehen, das war die bange Frage. Als Zeitziel setzte ich mir ein vorsichtiges, aber unter diesen Umständen durchaus ambitioniertes „sub 2 “. Wie ich das ohne Uhr kontrollieren wollte, ist mir bis heute rätselhaft. Denn eine wasserfeste Tri-Uhr besitze ich natürlich ebenfalls nicht.
Eine Schwimmstrecke von 800 m kann sehr, sehr lang sein. Vor allem, wenn man völlig untrainiert ist, über keinerlei Technik verfügt, als Brustschwimmer bereits auf den ersten Metern von den Kraulspezialisten abgehängt und dann von den drei Minuten später startenden Frauen und Staffeln überrollt wird. Ich fühlte mich ein bisschen wie bei einem Angriff von hunderten von hungrigen Piranhas, ohne eine Chance, diese Meute abwehren zu können. Doch schnell wurde es einsamer um mich herum. Nur die Rettungsschwimmer folgten mir auf ihren Boards in langsamer Formation. Da fällt mir ein: Gibt es eigentlich Besenboote?
Als einer der letzten Schwimmer schleppte ich mich aus dem Wasser und hinein in die Wechselzone. Zum Erstaunen eines in der Nähe stehenden Kampfrichters pellte ich mich eilig aus meinem Einteiler, nur um festzustellen, dass ich ja in diesem Dress den gesamten Triathlon bestreiten sollte. Das Erstaunen des Kampfrichters mündete in heiterem Gelächter, als ich mir die nasse Pelle wieder überzog. Na gut, Anfängerfehler, und Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Jetzt aber schnell die Laufschuhe geschnürt, die Startnummer umgebunden, den Helm aufgesetzt und das Rad zügig zur Startlinie geschoben.
Rennradfahren ist für jemanden, der kein Rennrad fährt, zunächst etwas ungewohnt. Die weit nach vorne/unten gebeugte Haltung erinnert an den Versuch, sich in Zeitlupe das eigene Genick zu brechen. Oder zumindest die Halswirbel auszurenken. Was mich aber auf Anhieb begeisterte war die Leichtigkeit, mit der sich so ein Renner sehr schnell bewegen lässt. 20, vielleicht auch 30 andere Teilnehmer konnte ich auf der Radstrecke überholen. Ein unschätzbarer Vorteil, wenn man nach dem Schwimmdesaster den befürchteten letzten Platz hinter sich lassen kann.
Der Nachteil: Für die paar Kilometer Laufen hatte ich danach keine Kondition mehr. Auf dem ersten Kilometer stolperte ich mit zitternden Beinen ziemlich unbeholfen dahin, weil die Beine immer noch an eine schnelle Rotation gewohnt waren. Selbst zum Suchen meines gewohnten Laufrhythmus’ fehlte mir auf den wenigen folgenden Kilometern die Kraft, vom Finden ganz zu schweigen. Renneinteilung wäre an dieser Stelle das mahnende Stichwort, aber als Triathlon-Neuling sollte man nachsichtig mit sich sein.
Nach 1:55 lief ich endlich ins Stadion ein, unerhörte 18 (in Worten: achtzehn!) Minuten nach meiner kleinen Schwester. (Die hatte mich schon als Kind immer genervt, erinnere ich mich. Ja, hört das denn nie auf?) Die Frage des Stadionsprechers, ob dieser gravierende Zeitunterschied unserer Geschwisterliebe Abbruch tun würde, konnte ich glaubhaft verneinen. Schließlich war sie es, die mich zu diesem kurzweiligen und spannenden Wettbewerb inspiriert hat.
Mein Fazit: Ich kann auch keinen Triathlon. Aber ich konnte zumindest mal reinschnuppern. Und unter 2 Stunden finishen, das hatte ich mir fest vorgenommen. Dass ich 2. In meiner Altersklasse wurde lag hauptsächlich daran, dass nur drei AK 65-Starter gemeldet waren und einer nicht zum Start erschien. Dass meine Schwester wieder 1. in ihrer Altersklasse wurde, war eh klar. Aber dass sie auch noch einen Freistart für 2020 gewonnen hat, das musste nun wirklich nicht sein.
Denn nochmal will ich mich nicht so einfach abhängen lassen.
Vor mir liegt das neue Triathlon Magazin mit den Einsteiger-Trainingsplänen, hinter mir ein langes Telefonat mit Rennradfahrer Didi, unser Redroadrunner im LT Bernd Hübner. Und nach einem Schwimmtrainer habe ich mich auch schon umgehört. Bis jetzt ohne Ergebnis, das scheint schwer zu werden in Berlin. Egal, ich bleib dran.
Ach ja: Habe ich erwähnt, dass ich mich bereits für den Erkner Triathlon 2020 gemeldet habe? Meine Schwester wird sich ganz schön umgucken. Und zwar sehr, sehr nervös.